Bücher.de im Interview mit Andreas Gruber

In "Todesmärchen", dem neuen Fall für Maarten S. Sneijder, sterben Menschen, die den genialen niederländischen Profiler entweder gehasst bzw. verabscheut haben oder ihm etwas anhängen wollten. Hat es Ihnen eigentlich besondere Freude bereitet, Ihren exzentrischen Helden, der ja eher als, sagen wir, ziemlich schwieriger Typ konzipiert ist, einmal so richtig unter Druck zu setzen?

Andreas Gruber: Zunächst mal war es gar nicht so schwierig, Leute zu finden, die Maarten S. Sneijder hassen, da er so ein arroganter Kotzbrocken ist. Ich hatte also freie Hand, im Roman passende Opfer zu finden.

Und wer Sneijder kennt, der weiß, dass Sneijder unter Druck am besten arbeitet. Da läuft er zur Höchstform auf. Sowohl in seiner Misanthropie, in seiner Arroganz, in seinen zynischen Sprüchen und in seiner Fähigkeit, sich in die Köpfe von Serienkillern hineinzudenken. Diese Methode des "Visionären Sehens" hat er übrigens selbst entwickelt, indem er einen Marihuana-Joint raucht und sich bis zur Selbstaufopferung in das Gehirn des Täters hineinversetzt.

Um die Frage zu beantworten: Ja, es hat mir besondere Freude bereitet. Je mehr Zeitdruck und persönlicher Druck auf Sneijder und seiner Kollegin Sabine Nemez lasten, umso besser.

Was war Ihr Antrieb, diesen dritten Fall für Sneijder in Angriff zu nehmen? Und was unterscheidet "Todesmärchen" von den Vorgängern "Todesurteil" und "Todesfrist"?

Andreas Gruber: In "Todesfrist" lernt die junge Münchner Kripoermittlerin Sabine Nemez den niederländischen Profiler Maarten Sneijder vom Wiesbadener BKA kennen - und gemeinsam lösen sie den so genannten Struwwelpeter-Killer-Fall.

In "Todesurteil" wird Sabine von Sneijder an der Akademie für hoch begabten Nachwuchs des BKA unterrichtet - wo sie ungelöste Fälle durchnehmen und einen schrecklichen Zusammenhang entdecken.

In "Todesmärchen" hat Sabine die zweijährige Ausbildung zur Profilerin absolviert und sie sind bereits ein Team - und das ist Sneijders persönlichster Fall, nämlich die Konfrontation mit dem niederländischen Serienkiller Piet van Loon, seinem Alter Ego.

Das ist der Unterschied zwischen den Romanen: Die Entwicklung der Figuren. Sonst sind sie ähnlich: Schreckliche Morde, ein Wettlauf gegen die Zeit, zwei Handlungsstränge, die sich kapitelweise abwechseln, Rückblenden in die Vergangenheit, Szenen aus der Sicht des Täters oder Opfers und ein langer Showdown. Dazwischen etwas Humor und zynische Bemerkungen.

Was, würden Sie sagen, schätzt Sneijder an "seiner Entdeckung", der Kommissarin Sabine Nemez, und was Nemez an Sneijder?

Andreas Gruber: Sabine hasst Sneijder, weil er nicht nur sie, sondern alle Menschen in seiner Umgebung demütigt. Aber Sabine bietet ihm Paroli. Und sie respektiert Sneijder, weil er ein Genie ist, eine Aufklärungsrate von 97 % hat und sie viel vonihm lernen kann. Allerdings muss sie aufpassen, nicht so zu werden wie er.

Sneijder hat in "Todesfrist" nach der ersten Begegnung mit Sabine ihr großes Potenzial erkannt. Darum hat er sie an die Akademie des BKA geholt, um sie unter seine Fittiche zu nehmen und diesen Rohdiamanten zu schleifen. Schließlich muss irgendjemand die Killer fassen und den Nachwuchs ausbilden, wenn Sneijder eines Tages nicht mehr im Dienst ist. Aber das würde er Sabine gegenüber niemals zugeben.

Ein zentrales Element der Krimis der Maarten-S.-Sneijder-Reihe ist natürlich ihr Humor. Wie entsteht der in der Beziehung der Figuren untereinander?

Andreas Gruber: Der Humor ist trocken, schwarz, bissig und zynisch. Das hat mit der Figur des Maarten S. Sneijder zu tun, weil er ein menschenverachtendes A... ist. Viele lassen sich das gefallen, Sabine nicht. Darum entstehen zwischen ihnen oft erfrischende Dialoge. Und es macht mir Spaß darüber zu schreiben. Oft denke ich tage- und wochenlang darüber nach, was Sneijder nun antworten könnte. Irgendwann fällt es mir ein - und im Roman klingt es dann sehr spontan.

Die Opfer in "Todesmärchen" sind jeweils auf die perfideste Weise ermordet und drapiert worden. Eine zentrale Figur in diesem Fall ist der Serienmörder Piet van Loon, der in Haft eine Therapiegruppe besucht. Dies vielleicht als Beispiel: Wie recherchieren Sie?

Andreas Gruber: Mittlerweile habe ich eine Menge Menschen kennen gelernt, die mir bei meinen Recherchen gern helfen, und da ergeben sich oft lange Gespräche. Zum Beispiel mit einem Berliner Staatsanwalt, einem Berner Rechtsmediziner, einem Wiesbadener BKA-Beamten, einem niederösterreichischen Gefängnisdirektor, einer Badener Psychotherapeutin oder einem Arzt und Anästhesiologen aus Schleswig-Holstein. Solche Gespräche sind für einen spannenden Thriller unerlässlich und bringen mich auf neue Ideen.

Wie versetzen Sie sich in Ihre Charaktere hinein?

Andreas Gruber: Es gibt zwei Creative-Writing-Techniken, die nennen sich "Show, don't tell" und "Erzählen aus der Erzählperspektive". Klingt hochtrabend, aber in Wahrheit geht es einfach nur darum, das zu erzählen, was die Figur sieht, hört, riecht, spürt und fühlt. Dabei benutze ich auch oft Innere Monologe, und so tauche ich in die Figur hinein und schildere die Szenen aus ihrer Sicht. Hilfreich dabei ist ein Tässchen Kaffee und ein Brot Nutella. Nein - um ehrlich zu sein: zwei oder drei Brote Nutella.

Wie reagieren eigentlich die Leser auf Ihre Figuren? Wie lautet der häufigste Kommentar zu Maarten S. Sneijder?

Andreas Gruber: Er ist ein Kotzbrocken. Er ist politisch inkorrekt. Er ist fies. Aber die Leser lieben ihn trotzdem - oder vielleicht sogar gerade deswegen - und finden ihn herrlich. Denn er hat auch seine schwachen Seiten, und das macht ihn wieder menschlich und verletzlich. Er ist schwul, bekämpft seine Cluster-Kopfschmerzen mit Akupunktur und klaut Bücher in der Haital-Buchhandelskette, was mit seiner persönlichen Vergangenheit zu tun hat. Er hat so viele Ecken und Kanten, vielleicht macht das den Reiz aus.

Wie ist der aktuelle Stand Ihrer persönlichen Beziehung zu Ihrer Figur. Sind Sie froh, wenn Sie einen Fall mit ihm beendet haben? Allzu lange hält man es ja mit Sneijder nicht aus. Oder fehlt er Ihnen schon wieder?

Andreas Gruber: Zwischen den Sneijder-Romanen schreibe ich entweder einen Roman für die Rache-Reihe um den asthmakranken Ermittler Walter Pulaski ("Rachesommer", "Racheherbst"), einen eigenständigen so genannten Stand-Alone-Thriller oder Kurzgeschichten für meine Erzählbände im Luzifer-Verlag. Für Abwechslung in meiner Schreibstube ist also gesorgt, und wenn ich dann wieder ein neues Sneijder-Projekt angehe, ist es so, als treffe ich einen alten Bekannten. Wichtig ist ja immer, dass ich mir etwas Frisches ausdenke und die Leser mit einer neuen Story mit raffinierten Wendungen überrasche. Darum sind die kreativen Pausen dazwischen gut, bevor ich mich mit dem Duo Sneijder & Nemez wieder auf Mörderjagd begebe.

Wird es einen weiteren Fall für Maarten S. Sneijder geben?

Andreas Gruber: "Todesmärchen" endet mit einem - wie ich meine - sehr gewagten Cliffhanger. Da habe ich alles an Dramatik reingepackt, was gegangen ist. Darum nehme ich an, dass die Leser wissen möchten, wie es weitergeht. Die Handlungen und Figuren von Band 4 und 5 sind schon entwickelt, Buchverträge dazu gibt es auch schon. Allerdings kann ich jetzt noch nicht verraten, wie die Bücher heißen werden, worum es geht und wann sie erscheinen. Da bitte ich noch etwas um Geduld - oder einfach, so wie Sneijder es tun würde - eine Tasse Vanilletee trinken, sich mit Akupunktur-Nadeln beruhigen und einen Joint rauchen.

Interview: Literaturtest