Beate Maxians entdeckt die tiefen Abgründe von Maarten S. Sneijder

Der österreichischen Krimiautorin Beate Maxian ist es gelungen, beim deutschen Bundeskriminalamt in Wiesbaden eine Anfrage zu stellen, um eines der seltenen Interviews mit dem Profiler Maarten S. Sneijder führen zu dürfen.
Gemeinsam sitzen sie in einem Verhörraum des BKA. Die Luft in dem kleinen Raum ist stickig. Die einsame Arbeitsleuchte auf dem glatten Tisch strahlt Beate Maxian direkt ins Gesicht. Sie kann nur wenig von Sneijder erkennen. Er trägt einen schwarzen Designeranzug, ist über einen Meter achtzig groß und hat enorm lange Arme.

Beate Maxian: Lieber Maarten Sneijder, was kannst du uns zu ...?

Maarten S. Sneijder: Entschuldigen Sie, dass ich Sie unterbreche. Aber ich könnte mich nicht erinnern, dass wir uns duzen. Oder habe ich da etwas missverstanden?

Beate Maxian: Nein, haben Sie nicht, tut mir leid. Lieber Maarten Sneijder, was können Sie uns zu …?

Maarten S. Sneijder: Verdomme! Es heißt Maarten S. Sneijder! Hat Ihnen das niemand gesagt?

Beate Maxian: Danke, also was können Sie uns zu ...?

Maarten S. Sneijder: Entschuldigen Sie, dass ich Sie gleich noch einmal unterbreche, Frau Maxian. Meine Zeit ist knapp, ich muss gleich zur nächsten Besprechung mit Präsident Hess ins Bundeskriminalamt, und ich möchte vermeiden, dass Sie meine Zeit vergeuden. Sehen Sie diese drei Finger?

Beate Maxian: Äh, ja.

Maarten S. Sneijder: Also stellen Sie ihre Fragen in höchstens drei knappen, präzisen Sätzen! Schaffen Sie das?

Beate Maxian: Ich weiß nicht, ich werde …

Maarten S. Sneijder: Frau Maxian, Sie sind doch Schriftstellerin, oder?

Beate Maxian: Ja.

Maarten S. Sneijder: Dann haben Sie doch sicher gelernt, sich in knappen, präzisen Sätzen auszudrücken. Also bitte.

Beate Maxian: Gut, ich werde es versuchen. Sie sind 49 Jahre alt und kommen ursprünglich aus Rotterdam in den Niederlanden. Wie lautet Ihre exakte Berufsbezeichnung?

Maarten S. Sneijder: Ich bin polizeilicher Fallanalytiker, Entführungsspezialist und forensischer Kripopsychologe beim Bundeskriminalamt in Wiesbaden. Wenn ich nicht gerade im Auslandseinsatz bin, nehme ich an der Akademie des BKA für hoch begabten Nachwuchs junge Kollegen unter meine Fittiche.

Beate Maxian: Kolleginnen auch?

Maarten S. Sneijder: Hören Sie auf mit diesem Gender-Quatsch!

Beate Maxian: Okay. Mir ist zu Ohren gekommen, dass Sie einen Hang zu Drogen haben. Wie lässt sich das mit Ihrem Job verein…?

Maarten S. Sneijder: Diese Frage müssen wir aus dem Protokoll streichen!

Beate Maxian: Darf ich sie inoffiziell stellen?

Maarten S. Sneijder: Nur wenn Sie die Antwort nicht veröffentlichen. Andernfalls müsste ich Sie anschließend für einige Monate in U-Haft nehmen.

Beate Maxian: Einverstanden.

Maarten S. Sneijder: Gut, ich habe Cluster-Kopfschmerzen, einen extreme Variante von Migräne – Kopfschmerzen zur Potenz. Darum rauche ich Marihuana. Einerseits lindert es die Schmerzen, andererseits gelingt es mir damit, durch meine Methode des Visionären Sehens, in die kranke Psyche von Serientätern hinabzusteigen, um ihre nächsten Gedanken zu erahnen.

Beate Maxian: Durch das Marihuana?

Maarten S. Sneijder: Als Schriftstellerin und Künstlerin müssten Sie den Effekt von Drogen doch eigentlich kennen.

Beate Maxian: Äh … nein.

Maarten S. Sneijder: Sehen Sie, Frau Maxian, durch das Marihuana kristallisiert sich manchmal ein winziges Detail mit all seinen Facetten übergroß heraus, das man sonst übersehen hätte. Das ist in meinem Job unerlässlich, und nebenbei bemerkt habe ich im Vergleich zu meinen Kollegen die höchste Aufklärungsrate.

Beate Maxian: Nochmal zurück zu den Cluster-Kopfschmerzen – gibt es keine andere Methode, um Ihre Schmerzen zu lindern?

Maarten S. Sneijder: Sehen Sie diese tätowierten Punkte auf meinen Händen? Das sind Akupunkturpunkte. Mit Nadeln, die ich immer bei mir trage, ziehe ich mir regelmäßig den Schmerz aus dem Kopf.

Beate Maxian: Ich habe gehört, sie hassen große Menschenmengen.

Maarten S. Sneijder: Ich hasse generell Menschen. Die rauben mir die Luft zum Atmen, und ich brauche Sauerstoff zum Denken.

Beate Maxian: Angeblich haben Sie keinen Führerschein.

Maarten S. Sneijder: Das stimmt.

Beate Maxian: Aber ich habe gehört, dass Sie …

Maarten S. Sneijder: Hören Sie, Frau Maxian, auch diese Frage müssen wir aus dem Protokoll streichen.

Beate Maxian: Und inoffiziell?

Maarten S. Sneijder: Von mir aus. Natürlich besitze ich einen Führerschein, aber davon wissen nur eine Handvoll Leute. So ist es mir möglich, dass ich von den Kollegen zu den Tatorten gefahren werde, und kann die Zeit auf dem Rücksitz sinnvoll nutzen.

Beate Maxian: Warum auf dem Rücksitz?

Maarten S. Sneijder: Ich hasse Smalltalk.

Beate Maxian: Verstehe. Gilt das auch für Ihre Studenten an der Akademie?

Maarten S. Sneijder: Für die ganz besonders. Wir müssen effizient arbeiten, daher nehmen wir an der Akademie im Modul Profilerstellung und forensische Psychologie nur ungelöste Mordfälle durch.

Beate Maxian: Warum das?

Maarten S. Sneijder: Andernfalls könnten die Studenten die Lösung googeln oder im Archiv ausheben. Aber ich muss diese jungen Leute dahingehend erziehen, dass sie zu kreativen Ansätzen fähig sind. Sie müssen lernen, unorthodox zu ermitteln und über den Tellerrand zu blicken.

Beate Maxian: Und das gelingt?

Maarten S. Sneijder: Godverdomme, nicht immer! Aber an der Akademie gibt es ein besonderes Talent, nämlich die Münchnerin Sabine Nemez. Sie ist die Hoffnung der jungen, modernen Verbrechensbekämpfung … und ich hoffe, noch viele weitere Fälle mit ihr lösen zu können. Aber sagen Sie ihr das bloß nicht!

Beate Maxian: Natürlich.

Maarten S. Sneijder: So, vier Fragen noch, dann muss ich weg.

Beate Maxian: Gut, verstehe. Haben Sie ein Haustier?

Maarten S. Sneijder: Einen Basset. Ist mir zugelaufen. Im Winter übernachtet er in meinem Haus, am Stadtrand von Wiesbaden, im Sommer schläft er draußen vor der Tür auf der Matte. Sein Name ist Vincent. Er ist ziemlich gefräßig.

Beate Maxian: Ich habe erfahren, dass Sie Bücher klauen. Aber nur in den Filialen einer bestimmten Buchhandelskette namens Haital. Warum?

Maarten S. Sneijder: Das hat persönliche Gründe. Eine private Fehde. Hat mit meinem Vater zu tun, Gott hab ihn selig. Mehr müssen Sie nicht wissen.

Beate Maxian: Lesen Sie selbst Kriminalliteratur?

Maarten S. Sneijder: Gelegentlich.

Beate Maxian: Was zum Beispiel?

Maarten S. Sneijder: Thomas Harris, Dennis Lehane, Jean-Christophe Grangé, Douglas Preston und Lincoln Child.

Beate Maxian: Was halten Sie von Andreas Gruber?

Maarten S. Sneijder: Kenne ich nicht. Wer soll das sein?

Beate Maxian: Ein österreichischer Krimiautor.

Maarten S. Sneijder: Ach der, ich kann mich dunkel erinnern. Ein armseliger Schriftseller. Er war mal beim BKA und hat für eines seiner Schmuddelbücher recherchiert. Das BKA hat eine Akte über ihn. Wir überwachen sein Haus und hören sein Telefon ab. Bisher ist er unauffällig geblieben, aber wir behalten ihn weiterhin im Auge. War es das?

Beate Maxian: Ja, danke. Ein herzliches Dankeschön, Maarten Sneijder, für die …

Maarten S. Sneijder: Maarten S. Sneijder!

Beate Maxian: Ein herzliches Dankeschön, Maarten S. Sneijder, für die Beantwortung der Fragen.

Maarten S. Sneijder: Gern geschehen.

Maarten S. Sneijder knipst die Lampe aus und lehnt sich zurück.

Die österreichische Autorin ist nach diesem Interview für mehrere Monate spurlos verschwunden …

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