Todesmärchen - Andreas Gruber im Interview

Er schreibt harte und humorvolle Spannung: Andreas Gruber entwickelt komplexe Thriller um Serienmorde und lässt mit Maarten S. Sneijder einen kantigen Helden ermitteln. Jetzt ist mit »Todesmärchen« sein dritter Fall und Grubers zehnter Roman zu lesen.

„Sneijder ist ein zynischer Mistkerl, macht aber Spaß“

»Todesmärchen« dreht sich um einen Serienmörder, der sich von Hans Christian Andersens »kleiner Meerjungfrau« oder dem »Mädchen mit den Schwefelhölzern« anregen lässt. Da ist viel Grausamkeit und Melancholie – muss man sich um Sie Sorgen machen?

Nein – ich führe ein entspanntes Leben auf dem Land, das eigentlich in humorvolle Regional-Krimis münden könnte. Nur ist mir das nicht aufregend genug. Als Leser und als Autor bevorzuge ich härtere Kost.

»Todesmärchen« ist härtere Kost, spannend und grausam: Ihr Mörder ritzt unter anderem einem Mann die Haut auf, rührt Brandbeschleuniger hinein und zündet ihn an.

Ich erwähne zwar Grausamkeiten, beschreibe sie aber nicht. Meine Vorbilder sind nicht Splatter, sondern Psychothriller wie »Das Schweigen der Lämmer«: Der Schrecken entsteht vor allem im Kopf des Lesers oder Zuschauers. Ich will Spannung aufbauen, indem ich einem intelligenten Täter auf der Spur bin, und will dabei möglichst komplexe Rätsel lösen. Deshalb habe ich über Serienmorde geschrieben: Eine Reihe unterschiedlicher, aber zusammenhängender Fälle führt in die Vergangenheit zurück, und wie in einem Puzzle fügt sich Stück für Stück zusammen.

Ihr Profiler Maarten S. Sneijder ist nicht gerade der liebenswürdige Ermittlertyp. Mögen Sie ihn?

Man kann das schon beim Namen nennen: Er ist ein zynischer Mistkerl. Sneijder ist von sich selbst so eingenommen, dass er alle anderen für unfähige Dilettanten hält und jeden vor den Kopf stößt. Das ist natürlich wenig sympathisch. Seine schroffen Bemerkungen und Marotten sind aber meine Art, mit Humor den grausamen Verbrechen die Schärfe zu nehmen, und ich muss oft selbst über das lachen, was Sneijder sagt. Das macht ihn zu einer Figur, mit der ich sehr gern Zeit verbringe.

Wen sehen Sie, wenn Sie über ihn schreiben?

Eine hagere Gestalt im Designer-Anzug mit langen Armen. Sneijder hat eine Glatze und dünne schwarze Koteletten, ist egozentrisch und leidet unter Cluster-Kopfschmerzen, die er selbst akupunktiert. Er ist schwul, raucht Marihuana und klaut Bücher in den Filialen einer Buchhandelskette. Das ist sein Rachefeldzug gegen das Unternehmen, das seinen Vater in den Konkurs und letztlich in den Selbstmord getrieben hat.

Wie sind Sie auf Sneijder gekommen?

Ich wollte einen unangepassten, außergewöhnlichen Helden erfinden und habe wild herumfantasiert, ohne jede Form von Selbstzensur – er sollte Spaß machen und interessant sein. Ich wollte nicht, dass er wie ich Österreicher ist, aber auch nicht Deutscher, so wurde er Holländer. Den Namen habe ich über mein Fußball-Panini-Stickeralbum gefunden, als ich mir die niederländische Nationalmannschaft angeschaut habe. Da gibt es einen Wesley Sneijder, einen tollen Spieler. Nach ihm habe ich meinen Ermittler benannt.

Wie viel von Andreas Gruber ist in Maarten S. Sneijder?

Ich bin nicht schwul, klaue keine Bücher, habe keine Cluster-Kopfschmerzen und rauche nicht Marihuana. Aber in Sneijders zynischen Bemerkungen ist viel von mir. Ich mache solche Bemerkungen selbst nur in launigen Runden, um jemanden hochzunehmen oder zu veräppeln. Aber ich würde gern tatsächlich mal so in Situationen reden, in denen mir etwas gegen den Strich geht.

Tüfteln an Mordmethoden

Sneijder ist erfolgreich durch seine Methode des visionären Sehens: Er denkt sich in einen Mörder hinein und erweitert dabei seinen Horizont durch Marihuana. Dahinter steckt natürlich der Autor – wie gelingt es Ihnen, Ihren Romanfiguren nahezukommen, sie und ihre Motive zu entwickeln?

Ich lese viel über Verbrechen, Profiling und Psychologie und bespreche meine Ideen mit Therapeutinnen. Was kann zum Beispiel hinter Gewalt- und Rachefantasien stehen? Wie reagiert ein Kind, das entführt wurde, nach einem Jahr entkommen kann und dann erfährt, dass seine Mutter gestorben ist? Oder auch, wie reagiert eine Mutter, die ihr Kind verloren hat? Aus diesen Gesprächen hat sich eine intensive Zusammenarbeit ergeben: Zwei Therapeutinnen, die mich beraten, gehören inzwischen zu meinen Testlesern.

Sprechen Sie auch mit Ermittlern?

Das hat sich ebenfalls sehr gut entwickelt. Anfangs hatte ich Sorge, auf eine Wand des Schweigens zu stoßen, wenn ich mich als Autor zu erkennen gebe, der für einen Roman recherchiert. Für Journalisten und Sachbuchautoren ist es oft auch schwierig, aber nicht, wenn es um fiktive Geschichten geht. Ich habe sehr offene Gesprächspartner gefunden, in der Rechtsmedizin in Bern oder beim Bundeskriminalamt in Wiesbaden, für das Sneijder in meinen Thrillern arbeitet. Dort durfte ich auch eine Woche hospitieren.

Worüber tauschen Sie sich aus?

Die Experten wollen wissen, wie meine Bücher entstehen. Ich erzähle ihnen von meiner Arbeit, und sie beraten mich bei allem, was in ihr Fachgebiet fällt. Ich tüftle auch gemeinsam mit befreundeten Ärzten Mordmethoden aus. Wie in »Todesfrist«: Hier mauert der Mörder eine Frau so eng ein, dass sie sich nicht rühren kann. Meine Frage an den Arzt war, wie der Täter es anstellen muss, damit sie dort mehrere Monate überleben kann.

Wie kommen Sie auf Ihre Ideen – lassen Sie sich von wahren Verbrechen anregen?

Aus der Realität nehme ich in der Regel nur Details, die Fälle entspringen meiner Fantasie. Ideen habe ich oft beim Walken im Wald. Oder im Urlaub, wenn ich entspannt am Strand liege, dann sprudeln die Einfälle geradezu.

Neben den Thrillern um Maarten S. Sneijder und seine Partnerin Sabine Nemez schreiben Sie zwei weitere Krimiserien: eine um den Wiener Privatdetektiv Peter Hogart, eine zweite um den Leipziger Polizeiermittler Walter Pulaski und die Wiener Anwältin Evelyn Meyers. Wie teilen Sie die Ideen unter Ihren Helden auf?

Der Stoff, den ich für einen Thriller aufgreife, muss zur Struktur der jeweiligen Serie passen. Wenn jemand auftreten kann, der inoffiziell ermittelt, ist es natürlich etwas für Privatdetektiv Hogart. Wenn eine Anwältin gebraucht wird, ist es etwas für Pulaski und Meyers. Die Serienkiller-Ideen haben zuletzt Sneijder und seine Partnerin bekommen. Der vierte Sneijder-Fall wird allerdings in eine etwas andere Richtung gehen.

Heavy Metal nach der Arbeit

Wo entstehen Ihre Thriller?

Ich schreibe Zuhause in Grillenberg, einem kleinen Ort rund 30 Kilometer südlich von Wien. Hier wohne ich mit meiner Frau sehr abgeschieden in einer Sackgasse. In meinem Arbeitszimmer schreibe ich Exposés und erledige Büroarbeit. Das ist ein großer Raum mit Balkon und vielen Büchern, DVDs und CDs. Zum Schreiben gehe ich aber am liebsten in unseren Wintergarten, wo es sehr hell ist.

Das klingt nach viel Ruhe, dabei hören Sie gern Heavy Metal.

Aber erst nach der Arbeit, und dann vor allem im Auto, meinem Metal Mobil, wie ich es nenne.

Wie sieht Ihr Arbeitstag aus – lassen Sie es gemütlich angehen?

Nein, ich bin nicht der Autorentyp, der auf die Muse wartet. Ich stehe um halb sieben auf und frühstücke mit meiner Frau. Wenn sie das Haus verlassen hat, beginne ich zu schreiben, fünf Stunden am Stück, wenn es gut läuft. Mittags bin ich eine Stunde auf dem Heimtrainer und sehe mir einen Film an, oder ich gehe mit Walking-Stöcken in den Wald. Anschließend arbeite ich weiter bis abends gegen sieben. Abgelenkt werde ich höchstens von unseren Katzen, wenn sie sich an meine Beine hängen oder über den Laptop laufen.

Gibt es Autoren, die Sie angeregt haben?

Als Jugendlicher habe ich vor allem Stephen King gelesen. Seine Bücher haben eine wichtige Rolle gespielt, wurden mir aber im Lauf der Zeit zu langatmig. Anders die Romane von Dean Koontz, da ist alles genau durchdacht und komponiert, das gefällt mir gut. Für meine Thriller ist zudem Dennis Lehane wichtig. Seine Serie um ein Privatdetektivpärchen habe ich verschlungen, und Pulaski und Sneijder ermitteln dann ja auch gemeinsam mit Partnerinnen. Das macht die Geschichten komplexer und spannender. Wenn ich in einem Kapitel Sneijders Partnerin in einem zweiten Handlungsstrang folge, weiß man nicht, was er gerade tut, und muss weiterlesen. Das ist meine Art von Sadismus: dem Leser hoffentlich schlaflose Nächte zu bereiten.

„Moneten, Bier und heiße Bräute“

Sie haben inzwischen acht Thriller veröffentlicht. Nach der Schulzeit haben Sie aber erst einmal Wirtschaftswissenschaften studiert und als Controller gearbeitet. Wie sind Sie Autor geworden?

Das wollte ich schon immer. Meine erste Geschichte habe ich mit fünf erfunden, damals konnte ich noch nicht mal schreiben. Das wurde ein Comic mit Symbolen statt Wörtern in den Sprechblasen. Als ich acht oder neun war, habe ich in den Sommerferien nachts in der Schrebergartenhütte meiner Eltern meinen ersten Krimi verfasst: »Moneten, Bier und heiße Bräute«. Nach drei Seiten hatten sich aber alle Figuren gegenseitig umgebracht, und der Roman war zu Ende. Mit elf habe ich es noch einmal versucht, dieses Mal professioneller mit der mechanischen Schreibmaschine meiner Eltern.

Wie sah das aus?

Ich habe geglaubt, dass ein Autor das Manuskript im Blocksatz schreiben muss. Daran habe ich stundenlang getüftelt und die Worte entsprechend gewählt, bis ich zwei bündige Absätze fertig hatte. Das war ein tolles Gefühl, weil der Text schon aussah wie eine Buchseite. Es war halt nur sehr viel Arbeit. Als mir dann ein Lehrer erzählte, dass das Layout vom Verlag übernommen wird, war ich erleichtert, beschloss, Autor zu werden, und verfasste ein paar Jahre später vor allem Kurzgeschichten. Die ersten konnte ich in den 1990er Jahren veröffentlichen: in Magazinen und Büchern mit winzigen Auflagen. Seitdem habe ich fast täglich geschrieben, wie ein Besessener. 2005 erschien dann mein erster Roman.

Wie haben Sie das neben der Berufstätigkeit hinbekommen?

Ich habe abends und samstags geschrieben. Meine Frau hat das mitgetragen und ist bis heute meine erste und beste Testleserin geblieben. Zuletzt war ich in einem Pharma-Unternehmen tätig, konnte die Arbeitszeit aber mehr und mehr reduzieren. 2014 hat sich dann mein Traum erfüllt: Ich habe den Job an den Nagel gehängt – seitdem bin ich freier Autor.

© Dr. Sabine Schmidt

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